Schreibt lesbar!

Ein Plädoyer für mehr Readability

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Vielleich erinnern Sie sich noch, wie Sie in der Grundschule ermahnt wurden, „lesbar“ zu schreiben. Also in schöner, „sauberer“ Schrift, immer genau auf der Zeile, Korrekturen immer nur mit Tintenkiller…
Doch um diese Bedeutung des Wortes „lesbar“ geht es hier nicht. Stattdessen geht es um Texte, die nicht lesbar sind, weil sie überquellen vor Bandwurmsätzen, sich ein Komma nahtlos an das andere hängt und das Verb natürlich immer am Ende steht. Und um eine Branche, in der sie besonders häufig anzutreffen sind: in der Wissenschaft.

Wie man es nicht macht

Ein Beispiel. In einem wissenschaftlichen Aufsatz zur frühen Geschichte des republikanischen Perús heißt es:

Von daher meine Überraschung, als ich entdeckte, dass im Jahre 1845, just in dem Moment, als Perú sich anschickte, einen schüchternen Prozess liberaler Reformen zu entwickeln, welche es dem Land erlauben würden, sich als Staat-Nation zu strukturieren, dessen Bestandteil Maßnahmen zur Enteignung kirchlicher Güter und zur Säkularisierung des alltäglichen Lebens waren, deren Auswirkungen auf die religiösen Orden qualitativ und quantitativ größer waren als die Verluste der säkularen Kirche, dass just in jenem Jahr also der Kongress eine Subventionierung der missionarischen Aktivität von 3.000 Pesos im Jahr beschloss, was mir in jeder Hinsicht widersprüchlich erschien.

Pilar García Jordán

Der Text ist aus dem Spanischen übersetzt, aber Sie dürfen davon ausgehen, dass er im Original nicht viel besser klingt. Ein einziger Satz, der sich über endlos lange Zeilen erstreckt, und nicht nur den Leser, sondern auch Google zum Teufel jagt. Wovon war noch mal die Rede? Von der Überraschung der Autorin, die aufkam, als sie den Prozess der Staatenwerdung Perús untersuchte, der mit tiefgreifenden Reformen begann, welche die Katholische Kirche… Was war nochmal die Überraschung?

Warum Wissenschaftler sich um Lesbarkeit bemühen sollten...

Solche Texte sind – wenig überraschend – schwer zu lesen, und ihre Lektüre raubt wertvolle Zeit. Man müsste einmal ausrechnen, wie viele Steuermilliarden jedes Jahr verloren gehen, weil Wissenschaftler kein lesbares Deutsch zu schreiben beherrschen und deswegen Stunden am Schreibtisch verbringen statt im Labor. Dabei spricht so doch kein normaler Mensch.

Mehr noch, der Schaden geht zulasten der Gesellschaft als Ganzes. Wissenschaft ist steuergeldfinanziert, aber sie drückt sich in einer Sprache aus, die der einfache Steuerzahler nicht versteht. Da ist er, der berüchtigte akademische Elfenbeinturm, und der besteht eben auch aus unnötigen lateinischen Fremdwörtern, aus Sätzen ohne Punkt und Komma, aus einer Sprache, die klarmacht: das soll gar niemand anderes lesen können als eine Handvoll eingeweihter Experten.

Für eine Wissensgesellschaft ist das fatal.

...es aber leider nicht tun

Konfrontiert man im akademischen Betrieb die Wissenschaftler selbst damit, mangelt es nicht an Einwänden. Fachbegriffe seien nun mal notwendig, um gewisse Sachverhalte passend zu beschreiben. Geschenkt. Aber aus dem „passend“ ein lateinisches „adäquat“ zu machen ist unnötige Wortklauberei – die zwei Drittel der deutschen Bevölkerung ohne Abitur vom Zugang zu Wissenschaft ausschließt. Mathematische Formeln ließen sich nun mal nicht in einfache Sätze fassen, und sowieso seien zum Verständnis eines Fachaufsatzes immer auch mehrere Semester Fachstudium notwendig. Das ist richtig. Aber gerade in den Geistes- und Sozialwissenschaften (aus denen das obige Beispiel stammt) geht es oftmals um Argumente und Meinungen, nicht um statistische Korrelationen. Diese kann man einfach ausdrücken. Denn das überzeugendste Argument ist oftmals nicht das, welches am kompliziertesten formuliert ist. Sondern das, welches auf den ersten Blick einleuchtet. Die Welt ist komplex. Um eine komplexe Welt abzubilden, brauche es auch einer komplexen Sprache. Vielleicht. Aber gerade in Zeiten, wo die Gültigkeit der Wissenschaft in Zweifel gezogen wird, wo Klimaleugner zu Präsidenten gewählt werden und wo Menschen sich vermeintlich einfachen Lösungen zuwenden, da muss Wissenschaft klar und leicht verständlich sein. Gerade für die Menschen, die sie sonst nicht erreicht. Sie sind immer noch nicht überzeugt, dass lesbares Schreiben auch an der Uni möglich ist? Man kann den oben zitierten Absatz auch umformulieren.

„1845 begann Perú mit den ersten, schüchternen liberalen Reformen. Das Ziel war es, einen modernen Nationalstaat zu formen. Dazu wurde die Kirche enteignet und aus dem Alltagsleben entfernt. Davon waren freilich die religiösen Orden stärker betroffen als die Kirche, im Ausmaß wie in der Qualität. Ich war jedoch überrascht, als ich erfuhr, dass just in jenem Jahr der Kongress eine neue Subvention beschloss: 3.000 Pesos jährlich für die Mission. Das ist ohne Zweifel ein Widerspruch in sich.“

Das liest sich viel leichter und enthält wahrscheinlich alles, was die Autorin sagen wollte. Wenn Sie nachzählen, werden Sie feststellen, dass diese Version sogar 180 Zeichen (mit Leerzeichen) kürzer ist.

Ideen für eine leserfreundliche Wissenschaft

Lesbare Wissenschaft ist also möglich. Freilich haben die Universitäten bereits reagiert und das PR-Personal für „Wissenschaftskommunikation“ aufgestockt. Aber das reicht nicht. Was kann die Wissenschaft also tun, um auch wieder für die Menschen attraktiv zu werden, die sie mit ihren Steuern bezahlen?

  1. Lesbares Schreiben ist kein Talent, man kann es lernen. Textkompetenz muss Teil der wissenschaftlichen Ausbildung werden.
  2. Solange dies noch nicht der Fall ist, sollte jede wissenschaftliche Veröffentlichung einer Universität von ihrer PR-Abteilung gegengelesen werden – auf ihre Lesbarkeit. In Zeitungen und Online-Medien ist das Standard.
  3. Wissenschaftliche Aufsätze enthalten Abstracts, also kurze Zusammenfassungen des Inhalts. Wenn sich ein Thema wirklich nicht leicht ausdrücken lässt – was spricht dagegen, seine Bedeutung für die Gesellschaft in zwei kurzen Absätzen zusammenzufassen?

Beim March for Science gehen seit drei Jahren regelmäßig zehntausende Wissenschaftler für ihre Forschung auf die Straße. Vielleicht wäre ihren Anliegen mehr geholfen, wenn sie dieses Jahr stattdessen für einen „March for Readability“ protestierten.

Über mich

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