Von PETER HÜHNE
In sanftem Tempo bewegt sich der orange-silberne Roboterarm auf das Aluminiumgehäuse zu. In seinem Greifer hält er ein mattglänzendes Zahnrad, des er passgenau in das zuvor von seiner menschlichen Kollegin eingelegte Kugellager fügen möchte. Doch es gibt ein Problem: Das Lager sitzt schief und die Facharbeiterin muss nachbessern. Um den Produktionsprozess nicht zu unterbrechen, greift sie also noch schnell in das Aluminiumgehäuse, doch der Roboter ist schneller … Und hält sofort an, als er in Kontakt mit der menschlichen Hand gerät.
Wie die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine im 21. Jahrhundert aussehen kann, lässt sich in der Getriebefertigung des Regensburger BMW-Werkes beobachten. Doch obwohl Roboter schon seit Jahrzehnten weite Teile der industriellen Produktion beherrschen, waren derartige Szenen noch vor wenigen Jahren undenkbar. Denn die direkte Interaktion von Mensch und Maschine in dieser kooperativen und sicheren Form ist beileibe noch keine Selbstverständlichkeit. Aber wo heute noch vielerorts Schutzzäune stehen, werden in nicht allzu ferner Zukunft intelligente Steuerungen für Sicherheit sorgen. Wo heute noch Lichtschranken regieren, arbeiten Mensch und Maschine demnächst sprichwörtlich Hand in Hand.
Cyber-physische Systeme, wie es in der Fachsprache heißt, entwickeln sich in immer rasanterem Tempo. Systeme, die nicht mehr bloß agieren, sondern aktiv auf ihre Umwelteinflüsse reagieren. Systeme, die in ein weltumspannendes Netzwerk eingebunden sind. Systeme, die Information intelligent nutzen. Möglich gemacht werden solche Sprünge durch die technischen Möglichkeiten unserer Zeit, durch permanente Forschung und jede Menge Hartnäckigkeit der Beteiligten. Digitalisierung und Prozessoptimierung bestimmen die Agenda, die Globalisierung bestimmt den Takt.
Die Bundeskanzlerin spricht auf ihrer Webseite sogar von einer vierten industriellen Revolution. Nach „Dampfmaschine, Fließband und Computer“ sorgen heutzutage intelligente Fabriken für einen tiefgreifenden Wandel. Industrie 4.0 lautet das hierfür eigens erschaffene Schlagwort, mit dem Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft seit einigen Jahren ihre Reden schmücken. Damit sind verschiedenste Ansätze zur ganzheitlichen Digitalisierung der Wertschöpfungskette gemeint. So entstehen in den nächsten Jahren für völlig neue Möglichkeiten im Bereich der industriellen Produktion. Es gilt das Motto: Alles, was vernetzt werden kann, wird vernetzt! Und damit ist nicht bloß die intelligente Fabrik mit all ihren vernetzten Maschinen gemeint, sondern auch ihre digitale Einbindung in die globale Produktionslandschaft.
Der Industrieroboter gilt, wie man auch bei BMW sieht, als einer der Dreh- und Angelpunkte dieser beschworenen Revolution 4.0. Die intelligente Fabrik wäre nicht denkbar ohne ihre metallisch-digitalen Töchter und Söhne. Seit den 1970er Jahren krempeln die vielseitigen Maschinen den Fabrikbetrieb um. Immer mehr Aufgaben, die aufgrund ihres hohen Anspruchs vorher nur von Menschen erledigt werden konnten, fallen den mittlerweile unentbehrlichen Helfern zu. Laut einer Studie der International Federation of Robotics wurden im Jahr 2016 allein in Deutschland ca. 20.000 Industrieroboter verkauft. Weltweit waren es gar knapp 300.000 Stück. Eine Steigerung von 300 Prozent gegenüber 2007. Einen großen Anteil an dieser Entwicklung hat, wie in so vielen anderen Bereichen auch, die neue Supermacht aus Fernost.
Die Volksrepublik China bezieht nicht nur ein Drittel aller weltweit verkauften Roboter, sondern strebt im Rahmen einer globalen Strategie auch nach der Übernahme der technologischen Vorherrschaft in diesem Segment. Ein Paradebeispiel dafür ist die Übernahme des traditionsreichen Augsburger Roboterspezialisten KUKA durch den chinesischen Elektronikkonzern Midea im Jahr 2016. KUKA, dessen Roboter auch im Regensburger BMW-Werk zum Einsatz kommen, gilt als Pionier und bestimmende Größe in dieser Schlüsseltechnologie. Die Übernahme ist daher ein strategisch konsequenter Schachzug der Chinesen, welcher im Vorfeld argwöhnisch betrachtet wurde – nach Zustimmung des damaligen Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel aber schließlich doch erfolgen konnte.
Doch Roboter sind nicht nur für die industrielle Produktion der Zukunft und geopolitische Strategien interessant. Auch in vielen anderen Bereichen werden die immer intelligenter werdenden Maschinen ihren Platz finden. Die Forscher des Tübinger Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme setzen hier mit ihrer Arbeit an. Dazu steht ihnen eine ganze Schar von Helfern zur Verfügung, die einem Science-Fiction-Film entsprungen sein könnten. Und sogar die passenden Namen aufweisen: Apollo, Athena oder Nao heißen die teils drollig anmutenden Gestalten.
Diese menschenähnlichen Roboter gleichen ihren Geschwistern in der intelligenten Fabrik nur im weitesten Sinne. Und auch ihre Aufgaben sind völlig andere. Denn statt in stickigen Industriehallen ein eher trostloses Dasein als Schweißer oder Sortierer zu fristen, werden die Tübinger Roboter zur Erforschung selbstlernender Systeme genutzt. Und zur kreativen Demonstration von technischen Möglichkeiten. So lädt Apollo die Gäste des Instituts zu kleinen Spielen ein. Es werden Plastikbecher ausgetauscht, Bewegungen nachgeahmt und Hände geschüttelt. Und dabei lässt sich der freundlich lächelnde Humanoid, wie ein YouTube-Imagevideo zeigt, auch von leichten Schlägen keinesfalls aus der Ruhe bringen. Doch auch in Tübingen ist der hyperintelligente Superroboter, wie man ihn aus diversen Science-Fiction-Filmen kennt, noch bloße Zukunftsmusik.
Dennoch werden Roboter immer zahlreicher. Und wichtiger. Und intelligenter. Müssen wir uns also doch Sorgen machen, eines Tages von den nimmermüden Kindern der intelligenten Fabrik aus dem Arbeitsleben verdrängt zu werden?
Die Forscher des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aus Nürnberg zum Beispiel sind der Frage nachgegangen, inwieweit Arbeitsplätze von Menschen durch die wachsenden Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz gefährdet sind. Die Antwort: Deutschlandweit gibt es bis zu acht Millionen Arbeitsplätze, die in nicht allzu ferner Zukunft von Kollege Roboter und Co. übernommen werden könnten. Allerdings, und dies betont das Forscherteam des IAB ausdrücklich, wird es vermutlich nicht zu einem großflächigen Beschäftigungsabbau in unserem Land kommen.
Vielmehr findet eine Arbeitsplatzverschiebung statt. Das heißt, dass einfache Tätigkeiten mit geringer Komplexität in Zukunft von Maschinen übernommen werden. Gleichsam werden jedoch komplexere Aufgaben entstehen, die nach wie vor nur der Mensch bewältigen kann. Und so kommen die Nürnberger Forscher zu dem Schluss, dass es die Bildung sein wird, die den Unterschied macht. Denn nur Bildung macht es möglich, dass wir Menschen und die Kinder der intelligenten Fabrik auch in Zukunft erfolgreich Hand in Hand arbeiten. So wird die Revolution 4.0 zu einem Erfolgsmodell.